XMAS - Positionen zur Menschenfreundlichkeit


Maximilian Verhas
Verhas Skulpturen sind im eigentlichen Sinne Anti-Statuen. Zwar werden sie hier in der Ausstellung statisch auf Sockeln, hinter Glas oder in Vitrinen präsentiert, doch sind sie eigentlich dynamische Körper, die in Bewegung gebracht werden wollen. Obwohl man in der Ausstellung die Kunstwerke nicht bewegen darf, so bewegen und verändern sie sich schon beim Umschreiten dieser im Raum. Anders als bei zweidimensionalen Werken kann die Ansicht einer Plastik variabel sein. Dieser Aspekt ist für Verhas von besonderer Bedeutung – nämlich die Allansichtigkeit der Skulptur. Aber was bedeutet eigentlich Allansichtigkeit? Bewegen wir uns z.B. vor der Skulptur und verändern unseren Betrachterstandpunkt, so verändert sich auch ständig die Kontur der Skulptur – es eröffnen sich neue Einblicke während andere sich verschließen. Mit jedem neuen Blickwinkel ändern sich aber auch der Lichteinfall auf die Skulptur und ihr Körper-Raum-Bezug.
Aber nicht nur der Betrachter kann seinen Blickwinkel auf die Skulpturen ändern, auch die Werke selbst lassen sich in Bewegung bringen. „Rollkörper“ nennt Verhas seine Skulpturen, die, würde man ihnen einen Anstoß geben, in einem bestimmten von Verhas kalkulierten Rhythmus „losrollen“. Einmal aus dem Gleichgewicht gebracht rollen sie dynamisch über ihre konvex und konkaven gebogenen Laufkanten und zeigen sich dem Betrachter von allen Seiten. Ähnlich einem Würfel, der nur im spielerischen Wurf all seine Seiten präsentiert. Dabei verraten bereits die Titel wie etwa „Große Rollwelle“ das spielerische Element und die eigentliche dynamische Bestimmung der Moving Sculptures. Statik steht demzufolge Dynamik gegenüber, weshalb der Künstler wie eingangs erwähnt seine Werke als Anti-Statuen, also Statuen, die eben nicht statisch im Raum verbleiben, verstanden wissen möchte. Die meisten hier zu sehenden Skulpturen hat Verhas aus Gelbronze gegossen, die durch ihren erhöhten Zinnanteil ihre gelblich-goldene Farbe erhält. Wir kennen aus dem Stadtbild sonst eher Bronzeskulpturen mit einer grünlich-braunen Patina. Das ist hier nicht der Fall, denn im letzten Schritt nach dem Bronzeguss mattiert oder poliert er die Oberflächen, sodass die Skulpturen einen Schmuckstücken ähnelnden Glanz erhalten. Die finalen Bronzeskulpturen gießt Verhas aus Holzmodellen. Diese werden anschließend schwarz gefasst und ihrerseits zum Kunstwerk.
So gleich den Skulpturen ihr Material ist, so unterschiedlich sind ihnen die Formen. Verhas Repertoire umfasst dabei sowohl organische Formen wie Seesterne als auch aus filigranen Blöcken zusammengesetzte architektonische Modelle oder aber dynamische, in sich verdrehte Treppenskulpturen. Oftmals vermischt Verhas diese Formen auch miteinander, wie etwa im Nachbarraum in verkleinerter Form anhand der Arbeit „Combined Steps and Stairs“ zu sehen. Eines ist ihnen allen aber gemein: die Allansichtigkeit einerseits und ihre Funktion als Rollkörper andererseits.

Wilfried Weiss
Der nächste Künstler, den ich Ihnen vorstellen möchte, ist Wilfried Weiss, welcher sich an dieser Ausstellung mit Gemälden, Collagen und Drucken beteiligt. Wilfried Weiss setzt seine Collagen wie ein Mosaik aus einzelnen künstlerischen Elementen wie Gipsmasken, Ölfarbe und Leinwand zusammen. Ganz prägnant fallen dem Betrachter sofort die Masken ins Auge, die er teilweise auch nur als Fragmente in seinen Collagen verarbeitet. Die Gesichter, so sagt der Künstler, sind anonym und können gleichermaßen als Menschen, Engel oder mystische Wesen verstanden werden. Die spröden und rissigen Oberflächen der Gipsmasken erinnern dabei an Skulpturen und Portraits aus Stein, die durch die äußeren Witterungsbedingungen oft ausgewaschen und porös sind. Diese beobachtete der Künstler gerne auf seinen Italienreisen an Kirchen der Renaissance. Alterungsprozesse und Erfahrungen lassen sich aber nicht nur an Gebäuden erkennen, sondern lassen sich auch in menschlichen Gesichtern ablesen, was Weiss hier in das Material Gips zu übertragen versucht hat. Die farbliche Gestaltung der Collage erinnert an die vier Elemente Feuer – Wasser – Luft und Erde denken, was dem ganzen noch eine tiefere Sinnebene verleiht.
So wie dort die Elemente durch Farbe symbolisiert werden, finden wir hier im Hintergrund von links nach rechts Drucke die den Tagesablauf versinnbildlichen und zwar: die Morgenröte, der Mittag und der Abend – und somit einen zeitlichen Aspekt in den Werken Weiss‘ erkennen lassen. Versucht man nun, das von Weiss in seinen Collagen und Druckgrafiken Dargestellte zu benennen, kommt dem Betrachter die Assoziation mit der menschlichen Vergänglichkeit in den Sinn. Die vier Elemente als Bausteine des Lebens in Verbindung mit dem Aspekt der Zeit, die sich auf der physischen und psychischen Ebene von Mensch und Landschaft ausdrücken, stellen Grundqualitäten des menschlichen Lebens dar.
Seine schöpferische Tätigkeit beschreibt Weiss als eine Art Suche. Bevor er ein Kunstwerk beginnt, kann er nie wirklich vorhersehen, wie es sich entwickeln wird. Nicht wie ein Architekt der nach einem strikten Plan entwirft, sondern eher forschend und experimentierend, sich auf die Sache einlassend, entwickeln sich seine Werke über Wochen, Monate oder sogar manchmal über Jahre hinweg zu dem, was der Betrachter am Ende als vollendet zu sehen bekommt.

Muyan Lindena
Eine gänzlich andere Herangehensweise hat der nächste Künstler, den ich Ihnen gerne nun vorstellen möchte, gewählt. Muyan Lindena lässt seine Werke aus Dingen des Alltags entstehen. Er sucht nach intakten Gegenständen, die er, nach minutiösen Berechnungen und Vorüberlegungen, mit Hilfe einer Japansäge, auseinanderschneidet. Das Zerschneiden versteht Lindena aber nicht als destruktiven, zerstörerischen Akt, da er die Gegenstände durch das Zerteilen einer Transformation unterzieht, wodurch aus dem Objekt etwas Neues entsteht. Bei den meisten von Lindenas Kunstwerken kann man das Ursprungsobjekt noch erkennen. Unschwer lassen sich die Coladosen aufgrund unseres assoziativen Markenverständnisses in Verbindung mit der charakteristischen Farbe, dem Metall und Dosenverschluss trotz stark transformierter Form auch noch als solche erkennen.
Anhand der Art der Präsentation unter einer Glashaube, die einer Schneekugel ähnelt, lässt die runde Form des neu entstanden Objektes in Verbindung mit der Farbe Rot, welche symbolisch mit Weihnachten verbunden ist, vielleicht nicht nur in meinem Kopf auch eine Christbaumkugel aus der einstigen Coladose entstehen. Dieses Spiel mit Assoziationen zieht sich durch Lindenas Werke und wird vom Künstler durchaus gewünscht. Bei vielen von Lindenas transformierten Objekten lässt sich die Urform noch leicht zurückverfolgen – wie am Beispiel der Coladose erklärt – bei anderen dauert es etwas länger und der Betrachter muss sich mit den Werken beschäftigen, bis sich ihm seine Ursprungsform offenbart. Somit spielen nicht nur persönliche Erfahrungen des Betrachters eine Rolle, sondern auch neue Sinnzusammenhänge, welche sich aus der Präsentationsform ergeben. So sehe ich beispielsweise in dem fragmentierten Bobbycar nun vielmehr einen Schlitten (vielleicht weil er meinem roten Plastikschlitten aus meiner Kindheit gleicht), die Präsentation an der Wand hängend erzeugt aber wiederum die Assoziation einer Art Geweih oder Hörner, wie man sie häufig auf Berghütten sieht.
Ob Verpackungen, Kinderspielzeug oder andere Gebrauchsgegenstände, Lindena zerschneidet sie nach einem bestimmten mathematischen Rhythmus und setzt sie auf eine ganz neue dynamische Art und Weise wieder zusammen. Dadurch entsteht plötzlich aus einem vermeintlich banalen Alltagsgegenstand wie einem Bobbycar oder, wie im anderen Raum zu sehen, einem Autoreifen ein futuristisch anmutendes Objekt, welches dem Betrachter auf den ersten Blick von seiner Geschichte oftmals nur wenig preisgibt und somit Spielraum für persönliche Assoziationen lässt. Text: Romina Pieper, Kunsthistorikerin


Presseberichte: hier (Anja Katzke, Rheinische Post) und hier (Gabi Gies, NRZ/WAZ)